Krawittsch! – Warum Vogellaute (und Schreien) vielleicht die bessere Weltsprache wären

Von Clara Kern, Kultur- und Kommunikationskorrespondentin

München. „Krah“, sagt der Mann im Park. Niemand reagiert. „Krawittsch!“, legt er nach, diesmal mit mehr Kehligkeit. Zwei Tauben fliegen auf. Eine Passantin bleibt stehen, schaut irritiert – dann macht sie ein Geräusch, das entfernt an einen empörten Pfau erinnert. Was wie eine absurde Performance wirkt, ist Teil eines ernsthaften linguistischen Experiments. Die Frage: Können tierische Lautsysteme – vor allem Vogellaute – eine alternative Form globaler Verständigung sein?

Es klingt bizarr. Aber in einer Welt mit über 7.000 gesprochenen Sprachen, zunehmender Fragmentierung und digitaler Kommunikationsüberforderung mehren sich Stimmen, die vorschlagen: Zurück zur Kehle. Zurück zum Ursprung. Oder, wie es der Sprachforscher Dr. Tamás Nyberg formuliert: „Menschliche Sprache ist ein überzüchtetes Bonsai. Vögel schreien einfach, was sie fühlen. Und es funktioniert.“

Kollektive Verständlichkeit durch Instinkt

Nyberg, Professor für interspeziesale Lautstrukturen an der Universität Uppsala, erforscht seit Jahren die akustische Kommunikation von Vögeln – und deren überraschende Wirkung auf den Menschen. In einem Experiment ließ er Studierende eine Woche lang ausschließlich mit modifizierten Vogelrufen und kontrolliertem Schreien kommunizieren. Das Ergebnis: „Die Gruppen wirkten emotional stabiler, aber auch leicht verwahrlost. Dennoch erreichten sie ein hohes Maß an Klarheit – vor allem beim Ausdruck von Gefahr, Freude und Hunger.“

Besonders effektiv sei laut Nyberg der „Hals-schräg-zisch-Flatter“-Laut, der sowohl „Ich brauche Hilfe“ als auch „Hier ist Kaffee“ bedeuten kann – abhängig von Tonlage, Flügelschlag und Kontext. Der Mensch, so Nyberg, sei tief empfänglich für Klangbedeutung – unabhängig von Grammatik.

Der Schrei als Rückversicherung

Auch der Schrei, lange als kulturell unfein verpönt, erlebt in Fachkreisen ein kleines Comeback. Die japanische Linguistin Reiko Ishikawa, die in Kyoto über „urbane Lauträume“ forscht, nennt das „vollfrequente Artikulation ohne Syntax“ einen „wichtigen evolutionären Reset“. In einem kürzlich erschienenen Paper mit dem Titel „AAAAAAHHH“ – Semantic Resonance in Uncoded Scream Bursts argumentiert sie, dass Schreien oft die eindeutigste Form der Verständigung sei: „Ein Schrei kennt keine Lüge.“

Ein Blick in den Alltag scheint das zu bestätigen: Babys schreien. Fans schreien. Menschen in Krisen schreien. Der Schrei ist universell verständlich – anders als Ironie, Konjunktiv oder deutsche Steuerformulare.

Sprache als soziales Hindernis?

Sprachwissenschaftler:innen weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass Sprache nicht nur verbindet, sondern auch trennt: durch Dialekte, Fachsprache, soziolektale Barrieren. Vogellaute hingegen seien demokratisch: Jeder könne sie erzeugen, unabhängig von Herkunft oder Bildungsstand. Der Linguist Dr. Abdelmalek Tarek aus Marseille nennt das „akustische Gleichheit“.

„Wenn jemand ‚Tschirr‘ macht, ist das einfach ‚Tschirr’“, erklärt er. „Man kann es nicht fehldeuten als Sarkasmus oder rhetorische Falle. Es ist, was es ist.“

Grenzen des Systems

Doch es gibt auch Kritik. Neurolog:innen warnen, dass zu langes Kommunizieren in nichtsprachlichen Lauten kognitive Überreizung und soziale Entfremdung begünstigen könnte. Zudem sei das Alphabet der Vögel kaum zu verschriftlichen – ein klarer Nachteil in Verwaltungsangelegenheiten und Steuerrecht.

Auch im internationalen diplomatischen Kontext sei das Konzept problematisch. „Ein ‚Zwi-zwi‘ in Helsinki könnte in Buenos Aires als Beleidigung gelten“, so die UN-Dolmetscherin Carla Dubois. „Und das Letzte, was wir in einer Verhandlung über nukleare Abrüstung brauchen, ist ein versehentlicher Balzruf.“

Fazit: Zwischen Sprachutopie und Krawall

Sind Vogellaute und Schreien die bessere Weltsprache? Vielleicht nicht ganz. Aber sie sind eine Erinnerung daran, wie weit wir uns von direkter, instinktiver Kommunikation entfernt haben. In einer Zeit, in der Worte oft zu Waffen werden, könnte ein ehrlicher „Krah!“ im Supermarkt oder ein gut platzierter „Zchirrr!“ auf Zoom erstaunlich viel klären.

Vielleicht geht es nicht darum, die Sprache der Vögel zu übernehmen. Sondern darum, wieder zu lernen, wann es reicht, einfach mal laut zu pfeifen

Nächste Woche:
Mit Delfinen sprechen – warum Klickgeräusche in Bewerbungsgesprächen das Eis brechen könnten.

Kommentare:

Gundula_B., 63, Duisburg
13.07.2025, 21:02 Uhr
Ich habe beim Lesen plötzlich angefangen, ein leises „Prrrr-klii“ von mir zu geben. Mein Kater hat mich respektvoll angesehen. Seitdem sind wir uns näher denn je. Ich finde: Diese Sprache hat Potenzial. Ich werde morgen beim Bäcker damit anfangen.

MisterSchrill (Tonmeister & Vogelstimmen-Imitator)
13.07.2025, 21:11 Uhr
Endlich! Seit Jahren sage ich, dass Worte überbewertet sind. Ich unterrichte seit 2008 die Kommunikation mit Schrei-Geflecht, insbesondere die westflämische Lachmöwenstruktur. Die Gesellschaft ist einfach noch nicht bereit. Aber dieser Artikel? Ein Anfang. Ein Signalruf. CAAAW!

Thomas B., Stuttgart
13.07.2025, 21:26 Uhr
Ich habe Angst. Wenn wir anfangen zu schreien und zu tschilpen statt zu reden, ist das dann Fortschritt oder Regression? Ich war mal im Kölner Zoo zur Balzzeit im Vogelhaus. Das war nicht friedlich. Es war Krieg. Ich sehe dunkle Zeiten kommen.

@SuperSapiens3000 (X-Account)
13.07.2025, 21:41 Uhr
Sprache abschaffen? Was kommt als Nächstes? Gras essen? Höhlen malen? Ich arbeite in der Kundenberatung. Soll ich demnächst „Kree-Kree!“ ins Headset rufen, wenn jemand nach einer Rechnung fragt? Dieser Artikel ist eine Zumutung.
PS: Ich habe testweise mit meiner Alexa geschrien. Sie hat mir ein Notfallpaket geschickt. Ohne Worte.

Nadja_Li_27, Freiburg
13.07.2025, 22:03 Uhr
Ich habe spontan versucht, mit meiner Taube Gisela zu kommunizieren. Sie hat mich angeblickt wie nie zuvor. Dann hat sie aufs Sofa gemacht. Ist das Ablehnung? Oder… Zustimmung?


„Kalle_Gänsehaut“ (ehemaliger Musiklehrer)
13.07.2025, 22:12 Uhr
Als ich meiner Frau die These erklärt habe, hat sie mich ganz still angeschaut und gesagt: „Willst du dich heute einfach nur auf den Balkon setzen und pfeifen?“ Ich sage: Ja. JA. Lasst uns endlich wieder mehr pfeifen.


LeoZ_88, Kommentator mit Aggressionspotenzial
13.07.2025, 22:19 Uhr
Ich hab’s ausprobiert. Ich hab meinem Chef heute bei der Teambesprechung ein lautes „KRIAAK“ entgegengebölkt. Jetzt hab ich eine Woche unbezahlten Urlaub und eine Mail vom Betriebsrat. Danke für nichts.

Sandra E., 34, Brandenburg (Erzieherin)
13.07.2025, 22:42 Uhr
Ganz ehrlich? In der Kita ist das längst Alltag. Da ist morgens mehr tierische Kommunikation als im Dschungel. Ich kann mittlerweile sieben Arten von Wutgebrüll unterscheiden – allein beim Anblick von Zucchini. Vielleicht sind Kinder einfach näher an der Wahrheit.

Kommentar der Redaktion
13.07.2025, 23:00 Uhr
Wir danken für die zahlreichen Reaktionen. Bitte beachten Sie: Das absichtliche Ersetzen von Sprache durch Gekreische in öffentlichen Verkehrsmitteln kann zu Missverständnissen führen. Die Redaktion übernimmt keine Haftung für zwischenmenschliche Brüche, verletztes Ego oder angegriffene Brieftauben.